ADS/ADHS
"Genialität
und Wahnsinn liegen dicht
beieinander"
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Hypoaktivität
als hyperkinetische
"Aufsattlung" zum
Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom
- die nach innen gekehrte
körperliche Bewältigungsstrategie der
Reizüberforderung - |
Die nachfolgenden Ausführungen
orientieren sich in erster Linie an dem
Auftreten von Hypoaktivität im
Zusammenang mit dem
Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) :
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Bei ADS
(Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom) haben
die Betroffenen einen nicht so stark
eingestellten Reizfilter wie die meisten
ihrer Mitmenschen. Sie nehmen deshalb
weit mehr Reize gleichzeitig auf, als
die Anderen. Das Gehirn ist deshalb bei
längeren Phasen dieser
überdurchschnittlich hohen Reizaufnahme
überlastet oder zumindest auf Dauer an
der Grenze der Belastbarkeit. Als körperliche
Bewältigungsstrategie für die
Überlastung gibt es zwei hyperkinetische
Varianten: die zappelige,
teilweise
aggressive Hyperaktivität und die
stille,
verschlossene
Hypoaktivität. |
Bei
der Hypoaktitivität handelt es sich um
eine zum ADS hinzukommende Form des Hyperkinetischen
Syndroms (ADHS). Hierbei reagiert
der menschliche Körper auf die
Überlastungserscheinung im Gehirn mit
Schließung der "Iris", d.h. er schottet
sich gegen weitere Reizaufnahme ab. Die
Betroffenen werden "reizverschlossen"
und "nach-innen-gekehrt".
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Da die Symptome
der hypoaktiven ADS-Variante vorwiegend
nach innen gerichtet sind, fallen
hypoaktive Menschen selten auf und
stören zunächst i.d.R. nicht.
Sie sind die sogenannten "Stillen",
"Scheuen", die sehr leicht übersehen
werden - die "Braven", "Lieben", die
scheinbar keine Probleme verursachen.
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Die
Gesellschaft neigt zur Einstufung von
Menschen nach dem Grad und der Art, wie
sie sich in Prozesse/Abläufe einfügen,
sie behindern oder nicht. Da hypoaktive
Menschen zunächst diesbezüglich keine
Störungen verursachen, werden sie
infolge ihrer scheinbaren
Problemlosigkeit von ihrem Umfeld als
"lieb" empfunden.
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Hypoaktive
Menschen wirken mitunter unterwürfig.
Auf gegen sie gerichtete Hänseleien und
verbale, tätliche oder sächliche
Angriffe reagieren sie kaum oder meist
nur mit besänftigenden bzw.
ausweichenden Aktivitäten. Ihre
Friedfertigkeit beruht jedoch oft nur
auf einer Art "Unfähigkeit" bzw. dem
Fehlen entsprechender Motivationen, sich
zu wehren. |
Während
die Mehrheit der Menschen sich wehrt
bzw. sich aktiv um das Abstellen/Ändern
unangenehmer Situationen bemüht, neigen
hypoaktive Menschen zum Ausblenden
negativer Situationen und die Flucht in
Ersatzwelten. Der Handlungsdruck
entfällt dabei in dem Grad für die
Betroffenen, wie der negative Fakt mit
der "Flucht" in eine Traumwelt scheinbar
verschwindet.
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Hypoaktive
Menschen erscheinen schwerer zugänglich,
merkwürdig unnahbar und beschäftigen
sich weitgehend mit sich selbst. Als
Kinder spielen sie oft allein, abseits
der Gruppe. Bei genauem Hinschauen und
Einfühlen wird deutlich, dass diese
scheinbare Ruhe eine Verkrampfung ist,
das scheinbar konzentrierte Spiel ein
Leerlaufspiel, das sich über lange Zeit
in genau derselben Weise wiederholt und
ohne neue kreative Impulse ist.
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Hypoaktive
Menschen isolieren sich
teilweise selbst. Das Isolieren und der
Drang zum "Unbeobachtet- Sein" hat aber
nicht unbedeutend etwas damit zu tun,
daß sie andere Formen der
Reizbewältigung, des Lernens und der
Informationsaufnahme haben als ihre
Mitmenschen und hierfür - insbesondere
für die Fälle scheinbaren Versagens -
wenig Tollerranz und Ansporn erfahren,
statt dessen eher Krititik und
Ablehnung.
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Oft
werden hypoaktive Menschen
von massiven Ängsten geplagt. Die Ängste
resultieren aber eher aus der
Verarbeitung eigener Erfahrungen und dem
Reagieren des Umfeldes auf das
"Anderssein" und insbesondere die
"Schwächen" der Betroffenen, als auf
eine gehirnbedingte Veranlagung zum
"Angst-haben" bzw. "Ängstigen".
Insbesondere bei allen
Abweichungen und Veränderungen von
gewohnten Tagesabläufen und Prozessen
treten bei ihnen - nicht unerheblich
durch ihr Umfeld verursacht -
Versagensängste infolge negativer
Erfahrungen auf. Ähnliche Ängste
entwickeln sie bei Trennungen,
selbst
bei alltäglichen, wie z.B. bei
Kleinkindern das tagtägliche
Verabschieden von der Mutter beim
Betreten des Kindergartengruppenzimmers. Nicht selten
senken Betroffene den Kopf, wenn sie
jemand Fremdem begegnen. |
Hypoaktive
Menschen haben Schwierigkeiten, mit
ungewohnten Situationen umzugehen und
ungewohnte Abläufe zu bewältigen. Mit
jeder "Fehlleistung" unter den Augen
anderer wächst hieraus eine Art Angst
vor dem Versagen. Das Umfeld verstärkt
mit seinen Bewertungen und Handlungen
diese Angst zunehmend und wird deshalb
als eine Art "Bedrohung" wahrgenommen.
Das Trennen von vertrauten Personen
trifft, wegen dem zunehmend als
"feindlich" empfundenen Umfeld,
hypoaktive Menschen besonders hart.
Sich unbeobachtet fühlende hypoaktive
Menschen erziehlen oft - wegen der nicht
zu erwartenden Gefahr, daß andere
Mißerfolge sehen und gegen die
Betroffenen thematisieren können -
wesentlich schnellere und höhere
Entwicklungsfortschritte als in einer
intolleranten Umgebung. |
Ihre
scheinbare Passivität, Weigerung
(bzw. Verweigerung) und ihr scheinbarer
Trotz - bis hin zu unbändigen,
schwer nachvollziehbaren scheinbaren
Zornausbrüchen - bringt
nicht selten das soziale Gefüge um die
Betroffen durcheinander. Für
das Umfeld der Betroffenen ist dieses
Verhalten unerklärlich und wird i.d.R.
auch nicht tollerriert. Es
muß aber wohl davon ausgegangen werden,
daß diese Reaktionen Angstreaktionen der
Betroffenen auf
das Drängen bzw.
den gegen den Zwang zum Durchführen von
"gefürchteten
Handlungen" sind
und vom Umfeld der Betroffen oftmals nur
als "Verweigerung", "Trotz" und
"Zornausbruch" fehlinterpretiert werden. |
Die
tagtäglich erlebten Reaktionen auf
scheinbares Versagen und Mißerfolge
prägen die Betroffenen. Das hieraus
entstehende
"Nicht-Trauen-zu-Agieren" bzw. "Nicht-Trauen-eine-Handlung-auszuführen"
führt zunächst zum Vermeiden von
Situationen, wo die Betroffenen handeln
müssen - also zu scheinbarer Passivität.
Die Nichterkennung bzw.
Nichttollerierung dessen durch das
Umfeld der Betroffen und das Drängen auf
die "gefürchtete Handlung" führt bei den
hypoaktiven Menschen zu Abwehrhaltungen
- zunächst zu einer "Weigerung" und
später, wenn sie sich in ihrer Angst zu
weit in die Ecke getrieben fühlen, zu
aggressiven Gegenreaktionen.
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Viele dieser
Kinder lassen sich zeitweise nicht gerne
berühren und haben eine Abneigung gegen
Zärtlichkeiten. In der Literatur wird
dies über die Figuren des Struwwelpeters
und des Daumenlutschers karikiert. Dem
Struwwelpeter ist Körperpflege,
besonders Haarwaschen und Zähneputzen
bis weit ins Schulalter hinein eine
Qual. Der Daumenlutscher ist in sich
zurückgezogen und stimuliert sich
selbst, vielleicht auch durch
Haardrehen, mit dem Körper schaukeln
oder dem Kopf schlagen. |
Die
zeitweise Abneigung gegen Berührungen
und Zärtlichkeiten wirken sich mit
zunehmenden Alter eher immer negativer
aus, da mit Eintritt in die
Geschlechtsreife auch ernsthafte
Beziehungsprobleme beinahe
vorprogrammiert sind.
Angewohnheiten, wie das Daumenlutschen,
Nubbeln, Haaredrehen usw. bleiben bis
ins späte Alter erhalten, auch wenn die
Betroffenen mit zunehmendem Alter diese
Dinge besser verbergen oder anderseitig
zu kompensieren versuchen.
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Bezugspersonen
erleben hypoaktive Menschen oftmals wie
hinter einer Glaswand, die sie nicht
durchdringen können. Nicht selten
versuchen sie diese in ihrer
Verzweiflung manchmal buchstäblich mit
aller Gewalt zu durchbrechen. Dies ist
auch einer der Gründe für die
unverständlichen brutalen Übergriffe der
Erwachsenen diesen Kindern gegenüber
(abgeschnittene Daumen beim
Daumenlutscher). |
Hypoaktive
Menschen können, wenn sie bei
Ermahnungen oder Aufforderungen
"Zu-machen", so vollständig eine Art
"gläserne Wand" aufbauen, daß bei den in
Unkenntnis über die Hypoaktivität
befindlichen Personen der Eindruck
entsteht, sie werden nicht für voll
genommen, der Betroffene ignoriert sie.
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Im Schulalter
werden bei hypoaktiven Menschen nicht
selten Lernrückstände, "Wahrnehmungsstörungen" und ein
"Unter-den-Erwartungen-bleiben"
festgestellt. Letzteres wird hierbei
oftmals darauf zurück geführt, das
hypoaktive Menschen über weite Strecken
gar nicht zuhören bzw. in ihrer
Phantasiewelt versinken würden und so den Schulstoff
nicht mitbekommen. Bei ärztlichen
Untersuchungen werden keine organischen
Mängel an den Sinnesorganen festgestellt
- die Unterbrechung liegt bei der
Aufnahme und Verarbeitung der
Sinnesreize. Die "Abschaltung" der
Reizaufnahme ist von den
Betroffenen nicht oder nur zeitweise beeinflussbar:
"... kann sie gar nicht hereinlassen,
hat wie "den Rollladen unten". |
"Du könntest
besser sein, wenn du dich nur mehr
anstrengen würdest." ... eine
typische, Schuldgefühle und
Versagensängste erzeugende Aussage von
Lehrern zu nichtdiagnostizierten
hypoaktiven Kindern. Die als "geistige
Abwesenheit" sichtbaren
Zeiträume dienen in nicht
unerheblichem Maße der Entspannung im
Gehirn gegen die Überlastung einer zu
hohen Reizaufnahme. Man muß also bei
einer "Erhöhung der Aufmerksamkeit"
durch Rückdrängung der
"Abschaltphasen" bedenken, daß die
Überreizung des Gehirn ebenfalls
begrenzt werden muß, also es zur
Nivellierung von zwei Prozessen
gleichzeitig kommen muß, was nicht
unerheblichen Einfluß auf die
Persönlichkeitsentwicklung haben
dürfte.
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Hypoaktive
Menschen zeigen sich einerseits bei
Berührungen oft extrem
schmerzempfindlich, andererseits
scheinen sie schwere Verletzungen kaum
zu spüren. Hieraus ziehen zahlreiche
Vertreter der Schulmedizin
Schlußfolgerungen, die durchaus auch
grundsätzlich anderer Art sein könnten
(s.h. Nachbarspalte!) :
Wer sich so wenig spürt, kann auch nur
ganz schwer eine Beziehung zum eigenen
Körper und zu sich selbst entwickeln.
Von daher ist die Welt um die
Betroffenen herum oftmals fremd und
feindlich statt vertraut.
Daraus entstehen extreme Ängste vor
allem Möglichen, das die mühsam
aufgebaute kleine Sicherheit und
Kontrolle wieder gefährden könnte.
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Folgt
man der These
von
Thom Hartmann, die ADS-Betroffenen
als direkte Nachfahren der Jäger in der
Evaluation der Menschheit anzusehen, ist
es auch anders erklärbar, warum das
unterschiedliche Schmerzempfinden
vorliegt:
Eine hohe Empfindlichkeit bei der Pirsch
und Erkundung steht hierbei einer
Schmerzunempfindlichkeit beim Kampf mit
anderen oder dem zu jagenden Tier
gegenüber.
Es ist folglich nicht sicher, ob eher
eine höhere Kontrollfähigkeit des
Körpers (ähnlich Selbsthypnose) oder
tatsächlich ein geringerer Bezug zum
eigenen Körper vorliegt.
Die wirklichen Ängste, welche Betroffene
haben, sind die vom Umfeld oftmals
geförderten Versagensängste.
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Das
Selbstwertgefühl von hypoaktiven
Menschen ist meist sehr brüchig. |
Die
Brüchigkeit des Selbstwertgefühls ist
abhängig von den Erlebnissen der
Betroffenen.
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Die
intellektuellen Fähigkeiten können nur
in dem Maß entwickelt werden, als ein
Zugang und eine Öffnung zur Außenwelt
möglich ist. |
Die Begrenzung der
Zeitfenster höchster Aufnahmefähig-
keit und der Grad der "Abschaltung" im
übrigen Zeitraum erfordern andere
Lehrmethoden für die Betroffen.
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Auch hypoaktive
ADS-Betroffene halten sich seelisch
meistens im Extrembereich auf: Sie
machen entweder ganz auf oder ganz zu.
Sie sind deshalb in bestimmter Hinsicht
auf ihre eigene Weise sich selbst und
anderen gegenüber nicht
verlässlich.
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Hyperaktive
und hypoaktive Menschen haben eine
von den übrigen Menschen abweichende
Ansprechbarkeit und Konzentration,
die einen, weil sie fast ständig von
Reizen überschwemmt werden, die
andern, weil sie zu wenige Reize
hereinlassen können/"wollen".
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Der vom Umfeld
und z.T. von den Betroffenen als
dauerndes "Neben-den-Schuhen-stehens" empfundene
Zustand macht es ihnen schwer, zu
Persönlichkeiten heranzureifen, was dann
oft zu den unangenehmen Kompensations-
und Erprobungsaktionen führt.
Auch die Schulmedizin zielt in erster
Linie darauf ab, die Abweichungen von
der Norm als Störung zu behandeln, und
die Betroffenen "normtauglich" zu
medikamentieren und therapieren.
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Der
Zustand wird sowohl von den Betroffenen
als auch ihrem Umfeld als belastend
empfunden. Infolge der fehlenden
Entfaltungsmöglichkeiten und durch die
von der Gesellschaft getzten Maßstäbe
und Rahmenbedingungen für das Verhalten
des Einzelnen/Miteinander beschränkt
sich Integration oft auf eine
"Tauglichmachung" der Menschen
mit ADS für eine, für
sie nur bedingt geeignete Lebensweise.
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Es kann davon
ausgegangen werden, das die Aussagen von
Hans von Lüpke zur Hyperaktivität
sinngemäß auch für die Hypoaktivität
gelten: Zusammenfassend ergibt sich,
dass Hypoaktivität offensichtlich keine
definierte Störung darstellt, sondern
eine unspezifische Bewältigungsstrategie
bei Beeinträchtigungen ganz
unterschiedlicher Art. Die Gemeinsamkeit
liegt bei Auslösern wie Angst,
Unsicherheit und Verwirrung, Damit ist
nichts über mögliche Ursachen und
"Schuld"-Fragen, "richtige" oder
"falsche" Behandlung gesagt. (...) Zum
anderen wird deutlich, dass es bei der
Hypoaktivität auch um eine
Auseinandersetzung mit
(ein Rückzug
aus...) der Umwelt geht. Das
Problem kann nicht auf das Individuum
eingegrenzt werden.
Bei
Hypoaktivität im Zusammenhang mit ADHS
haben die o.g. Auslöser ihre Ursache in
der speziellen - nach innen gekehrten -
Bewältigungsstrategie der
Reizüberlastung.
Alle ADS-Betroffenen können ihre
negativen Begleitsymptome und
Verhaltensweisen nicht aus eigener Kraft
und Anstrengung heraus aufheben, ja sich
nicht einmal für eine Richtungsänderung
entschließen. Dazu braucht es die
helfenden Anderen, die sie wie einen
entgleisten Zug zuerst einmal (wieder)
auf die Schienen stellen. Entscheidend
sind klare Regeln, Strenge und
Konsequenz, Motivationshilfen sowie viel
Anerkennung und Liebe. |